Ethnologie im Ohr (2000)

Burkhard Stangl

Vorwort und Einleitung aus: Ethnologie im Ohr. Die Wirkungsgeschichte des Phonographen. Wien: WUV (Facultas) Wiener Universitätsverlag 2000.

Vorwort

Die vielfältigen Möglichkeiten des Hörens im allgemeinen und die Tonaufnahme im speziellen haben mich schon immer interessiert. Das hat letztlich zu meiner beruflichen Tätigkeit als Musiker geführt, die ich seit nunmehr fünfzehn Jahren als “Freiberufler” ausübe. So hat auch die Thematik dieses Bandes im weitesten Sinne damit zu tun, nämlich die Fragestellung, wann und in welcher Form die technische Errungenschaft der akustischen Klangspeicherung in die Ethnologie Eingang gefunden hat. Grundvoraussetzung dafür war die Entdeckung und Entwicklung des Phonographen, der bereits den vorläufigen Endpunkt einer ganzen Reihe von verwandten Geräten zur Schallaufzeichnung sowohl in Europa als auch in Nordamerika darstellt. Schon das Manifest des Erfinders Thomas Alva Edison zeigt – indem es über den technisch-naturwissenschaftlichen Ansatz hinausgeht – deutlich den geisteswissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Anspruch auf, den das Gerät zur automatisierten und dadurch standadisierten bzw. objektivierten Schallaufzeichnung mit sich brachte. “Connection with the telephon, so as to make that instrument an auxiliary in the transmission of permanent and invaluable records, instead of being the recipient of momentary and fleeting communication”.

Die intensive Rezeption des Phonographen war vorerst unabsehbar, eröffnete aber insbesondere für Wissenschaftszweige, die sich mit oraler Überlieferung beschäftigen, wie die Ethnologie, die Volkskunde, aber auch die Musikhistorie, neue Möglichkeiten. Das neue Medium war rasch integrativer Bestandteil des wissenschaftlichen ethnologischen Diskurses. Die Quellen schienen plötzlich authentisch. Probleme der Fixierung nach dem Gehör, sowohl des Gesprochenen als auch des Gesungenen und Gespielten, waren mit einem Mal sekundär geworden, da man jetzt die Primärquelle aus dem Phonographentrichter “empfangen” konnte. Zudem war das Hörerlebnis und damit verbunden auch die wissenschaftliche Auswertung des Gehörten nicht an den direkten Kontakt mit den Ausführenden und Urhebern gebunden. Was mir im Laufe meiner Recherchen erst richtig bewußt wurde, ist die Tatsache, wie sehr die universale Mobilisierung der Klänge mit der Erfindung des Phonographen und dessen Implikationen in Verbindung steht.

Das neue Medium erlaubte auch einen Vergleich von unterschiedlichen Überlieferungen, die an verschiedenen Orten der Erde zu verschiedenen Zeiten entstanden waren. Die Vergleichbarkeit impliziert jedoch eine systematische Archivierung der Tondokumente. Dabei spielte das Wiener Phonogrammarchiv eine maßgebliche Rolle. Das Bewußtsein für einmalige Dokumente des “Alten” und des “Fremden” wird durch die Gründung und intensiven Weiterentwicklung dieses Archivs sowie durch seinen engen Kontakt mit anderen vergleichbaren Instituten in Europa deutlich. Der wissenschaftliche Austausch basierte jedoch auf einer weiteren Errungenschaft, und zwar jener der Vervielfältigung. Mit der Möglichkeit, Kopien zu erstellen, konnten Dokumente als klanglichen Sequenzen der “fernen Welt” sowohl dem wissenschaftlichen Kreis als auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Erst mit der allgemeinen Zugänglichkeit des “exotischen Klangs”, die vor der Erfindung des Phonographen lediglich höfischen Kreisen oder Reisenden durch direkte Kontaktnahme vorbehalten war, fanden eine direkte Wirkung und in weiterer Folge eine breitere Rezeption und Adaption auch in der westlichen Gesellschaft statt.

Die vorgelegte Studie ist ein Versuch, die Bedeutung des Phonographen für die deutschsprachige Ethnologie im Zeitraum von der Gründung des Wiener Phonogrammarchivs bis zum Tod seines maßgebenden Protagonisten Rudolf Pöch nachzuzeichnen. Angesprochen wird hiebei auch der Unterschied zwischen direkter Beeinflussung, die in der Archivierung und in der Rezeption durch den wissenschaftlichen Diskurs deutlich zum Ausdruck kommen, und der indirekten Beeinflussung, die in der Aufnahme “fremder” – nicht europäischer oder westlicher – Elemente in die Literatur und Musik des 20. Jahrhunderts deutlich wird. Die Wurzeln, die in der Erfindung des Phonographen und der Rezeption in der Ethnologie liegen, aufzuzeigen und zu analysieren, sind feste Bestandteile der Arbeit. Im ausgehenden 20. Jahrhundert gehören vervielfältigbare Tondokumente auf unterschiedlichen Datenträgern zum täglichen Leben, kaum abschätzbar ist dagegen die Fülle an “verloren gegangenen” Dokumenten der letzten Jahrhunderte. “Was nicht festgeschrieben ist, ist nichts. Was festgeschrieben ist, ist tot”, hat Paul Valéry einmal gemeint. Dieses hier von Valéry evozierte Spannungsfeld bildet auch die Grundlage des Problemkomplexes, der die Schriftlosigkeit, das Gedächtnis, die orale Tradition, die Verschriftlichung und Speicherung von Nicht-Schriftlichem sowie die damit verbundenen theoretischen Konzepte im Teil I unserer Untersuchung thematisiert.

Teil II geht den Hintergründen nach, wie es zur Gründung des Wiener Phonogrammarchivs kam und welche Folgen und Erkenntnisse die ersten mit dem Phonographen ausgerüsteten Feldforschungen mit sich brachten.

Teil III schließlich versucht die Gründe aufzuzeigen, warum Rudolf Pöchs ethnographischer Nachlaß und im speziellen die von ihm gesammelten ethnographischen Tondokumente nicht die ihnen gebührende Auswertung erfuhr. Er veranschaulicht unter anderem die Verwebung von nationalsozialistischer Ideologie und wissenschaftlicher Lehre. Diese als Ergebnis von zäher Archivarbeit eher trockene Darstellung versteht sich in formaler Hinsicht als bewußt gesetzter abschließender Kontrapunkt zur Einleitung dieses Bandes.

Einleitung (Annäherungen an das Thema)

Der Phonograph gibt eben doch viel mehr ‘Leben’ und ‘Wirklichkeit’ wieder. (Pöch 1905: 901)

Die Gefahr ist groß, daß die rapide Ausbreitung der europäischen Kultur auch die letzten Spuren fremden Singens und Sagens vertilgt. (Hornbostel 1905; 1986: 57)

After all, one can never describe the sound of an instrument or a kind of music to somebody who has not heard it before without at least one recording. (Malm 1992: 355)

Die enormen Auswirkungen der Fixierung von Klang auf die Kultur des 20. Jahrhunderts konnten die ersten Forscher, die mit dem Phonographen in Berührung kamen und damit begannen, wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen, in diesen Dimensionen kaum ahnen. Die weltumspannende Durchdringung des alltäglichen Lebens mit gespeichertem Klang auf Schallplatte, Tonband, Tonbandkassette, CD, Video, Festplatte, in Radio und Fernsehen – als Muzak (Kaufhausmusik): Was heute undenkbar ist, nämlich ohne akustische und visuelle Speicher zu leben, war einmal wirklich. “Kein Film”, schreibt der Medientheoretiker Friedrich Kittler (1986: 17) über die Menschen des prä-medialen Zeitalters, “speicherte Bewegungen, die sie machten oder sahen, kein Phonograph die Geräusche, die sie hervorbrachten oder hörten. Denn was es gab, versagte vor der Zeit”. Oder wie es Chris Marker im Essay zu seinem Film Sans Soleil ausdrückt: “Ich frage mich, wie die Leute sich erinnern, die nicht filmen, die nicht fotografieren, die keine Bandaufzeichnungen machen, wie die Menschheit überhaupt verfahren hat, um sich zu erinnern” (Marker 1984: 25).

Mit der Einführung der Schrift war der erste Damm im historischen Quellgebiet des Stroms gebrochen, den wir heute als Informationsflut erleben (Franck 1998: 53 f.). Der Buchdruck setzt diesen Prozess in ungeahntem Ausmaß fort und “läutet die industrielle Phase der Informationsproduktion ein” (ebd.: 55). Im Sinne einer der Informationsflut intendierten Verbreitungskapazität treten am Ende des vorigen Jahrhunderts der Phonograph und das Grammophon als weitere Informationsträger hinzu. Heute leben wir in einem Zeitalter, so der Schrifthistoriker Harald Haarmann (1991: 14), in dem Schrift bei weitem nicht mehr das wichtigste Medium ist, um die Informationsflut der hochtechnisierten Industriegesellschaft bewältigen zu können. Es werden alte und neue Techniken der Informationsübermittlung verwendet, die mit “sprachlichem Schreiben” nichts zu tun haben. Diejenigen, die das sprachgebundene Schreiben verherrlichen, würden unterschätzen, daß es viele sprachunabhängige Technologien, Gedanken mitzuteilen und Informationen zu fixieren, gab und gibt: “Hinter einer einseitigen Hochachtung der Schrift verbirgt sich eine Geringschätzung des gesprochenen Wortes und der in vielen Teilen der Welt lebendigen mündlichen Überlieferung von Literatur (orale Tradition genannt)” (ebd.). Zu den Verfahren der Informationsvermittlung zählen die mit den Felsbildern der Altsteinzeit auftretende Bildtechnik der Informationsvermittlung ebenso wie die Verwendung von Symbolen zur Fixierung der Information. “Irgendwann während der Eiszeit hat der Mensch angefangen, Kerben in Holz und Knochen zu schneiden, die ihm als Zähleinheiten dienten”, so Haarmann weiter und verweist darauf, daß man auch in der Neuzeit nicht auf sprachunabhängige Symbole verzichtet: “Die moderne Marktwirtschaft kennt viele symbolhafte Markenzeichen, und in den Wissenschaften gibt es eine Fülle von abstrakten Zeichen, die mit sprachlichem Schreiben nichts zu tun haben” (ebd.). Auch Musik, die Brecht (1976: 87) einmal als “lautes Fühlen” bezeichnete, überbringt Botschaften und kann dem Fühlen des einzelnen, “soweit es allgemein werden will, eine allgemeine Form geben, ist also Organisation von Menschen auf Grundlage der Organisation von Tönen” (ebd.). Schon Goethe hatte, wie Blaukopf (1995: 34) schreibt, in “Wilhelm Meister” die Musik das Allgemeinste genannt, das sich denken ließe, und daran die Bemerkung angeschlossen, daß der Blick auf den musizierenden Menschen diese Allgemeinheit zerstöre: “Die wahre Musik ist allein fürs Ohr” – eine Ansicht, die noch lange Zeit als spekulativ und praxisfern zu gelten hatte. “Erst die technische Metamorphose der musikalischen Kommunikation des zwanzigsten Jahrhunderts sollte den Wandel schaffen: Phonographie und Radio bahnen dem musikalischen Geschehen den Weg zum Ohr, ohne daß dem Auge etwas davon vermittelt würde”. Durch die explosive Entwicklung dieser akustischen Technologien entsteht einerseits eine “kreative Emanzipation des Hörens”, da der Hörer sich der Musik auf den Tonträgern “nun prinzipiell so oft zuwenden kann, wie er es sich wünscht” (Kaden 1984: 199). Andererseits lassen sie den Rezipienten den Medienapparat zunehmend undurchschaubarer werden (vgl. ebd.: 114 f.).

Das Hören von auf Tonträgern gespeicherter Musik ist heute so selbstverständlich, wenn nicht selbstverständlicher, als einen Text lesen zu können. Früher waren die sprachliche Kommunikation und musikalische Rezeption an den direkten Austausch in Form einer persönlichen Begegnung gebunden. Die Perzeption von sogenannter außereuropäischer Musik, vom Standpunkt des westlichen Hörers aus betrachtet, war somit (fast) immer ans Reisen gebunden. Diese Aktivitäten waren immer mit einer unmittelbaren sozialen Interaktion verknüpft. Mit dem Aufkommen des Telefons, der Phonographenwalze oder Schallplatte und des Radios sind diese Zeiten in weite Ferne gerückt. “Die überwältigende Mehrheit der Menschheit hört das Klischee musikalischer Verlautbarungen überhaupt nur noch auf funkische Weise oder vom Speicher, dessen Inhalt als elektroakustische Reproduktion hörbar wird” (Winckel 1958: 62). Oder wie es Blaukopf (1992: 20) präzise sagt: “Culture which in the pre-electronic era was bound to be defined also in geographical terms tends to become ‘placeless’, thus breaking up the traditional link between physical and social place”. Wie gesagt, das Hören und der Verkauf von Musik auf Tonträgern, darunter die sogenannte “Ethno-Music” in all ihren hybridisierten Formen, gehört heute zum allgemeinen Selbstverständnis und zum Alltagsgeschäft der Musikindustrie; die sogenannte Ethnomusik ist im Zuge des World-Music-Booms gerade in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Hausschild merkt dazu an, daß es heutzutage vor allem gerade die elektronischen Medien sind, die beständig “um das Fremde kreisen”; zur Musikproduktion der elektronischen Medien läßt sich feststellen, “daß in den letzten 40 Jahren ganze Generationen unter afrikanischen Rhythmen der herkömmlichen aufklärerischen und religiösen Kultur Europas und der USA davongetanzt sind” (Hausschild 1993: 324 ). Auf den Problembereich der neuen Medien weist auch James Clifford hin, wenn er auf die neuen Herausforderung an die Ethnologie anspielend feststellt: “Mit der Ausweitung der Kommunikation und der interkulturellen Einflußnahme geht einher, daß die Menschen und sich selbst in einer verwirrenden Vielfalt von Idiomen interpretieren […]. Diese mehrdeutige, vielstimmige Welt macht es zunehmend schwierig, sich die menschliche Vielfältigkeit in abgegrenzte unabhängige Kulturen eingeschrieben vorzustellen. Die Verschiedenheit ist eine Folge des schöpferischen Synkretismus” (1995: 111). Die von Hausschild und Clifford beschriebene Konsequenz der Kommunikationsausweitung und kulturellen Polyphonie ist die Folge von schon in Jahrzehnten davor angebahnten Entwicklungen.

Mit der Schallaufzeichnung im vorigen Jahrhundert begann die Rezeption der Musik der “fremden” Völker und Kulturen auf klanglicher Ebene und damit auch das Zeitalter der ethnographischen Tondokumentation. Der Phonograph und die Einführung physikalisch-akustischer Methoden ließen die vergleichende Musikwissenschaft “in eine neue Aera” treten, wie Hornbostel in der gemeinsam mit Abraham verfaßten Abhandlung Über die Bedeutung des Phonographen für die vergleichende Musikwissenschaft aus dem Jahr 1904 bemerkte (Hornbostel 1975: 192; vgl. Hornbostel 1933a: 27). Hornbostels Mitstreiter Lachmann (1935a: 1) formulierte es folgendermaßen: “So begann die Erforschung außereuropäischer Musik im strengen Sinn erst, als man Tonhöhen an Musikinstrumenten physikalisch maß und Melodien mit dem Phonographen festhielt”. In eine “neue Aera” war ebenso die Ethnologie getreten. Ihr Aufschwung als wissenschaftliche Disziplin am Ende des 19. Jahrhunderts kann im Kontext der neuen technischen Möglichkeiten der Datenerhebung im Feld – Photographie, Film und hier im speziellen Phonographie – betrachtet werden. Denn von der ersten Stunde an waren Ethnologen bzw. der Ethnologie nahestehende Forscher in den Prozeß der ethnographischen Klangaufzeichnung unmittelbar involviert. Als Protagonisten wären hier für die USA Jesse Walter Fewkes, Francis La Fleche, Frances Densmore und Franz Boas, für England Cecil Sharp, für Rußland Eugenia Lineva, für den deutschsprachigen und mitteleuropäischen Raum primär Pöch und Béla Vikár zu nennen, Pöch und Vikár, die später der Erste Weltkrieg zusammenführen sollte, als Pöch im k.u.k. Kriegsgefangenenlager Eger im Sommer 1915 phonographische Aufnahmen durchführte und dabei von Vikár in sprachwissenschaftlicher Hinsicht unterstüzt wurde. Aber auch Felix von Luschan, Otto Dempwolff, Max von Oppenheim, Wilhelm Schmidt, Josef Winthuis, Paul Schebesta, Richard Thurnwald und Leo Frobenius gehören mit zu den ersten Ethnologen, die ethnographische Tonaufnahmen durchführten. Denn schon früh wurde erkannt, daß sich für die ethnologische Feldforschung mit dem Phonographen, gemeinsam mit der Photographie und dem Film, ein wichtiger Dokumentationsbereich erschließt, der über bisherige Datenerhebungsverfahren hinaus wichtige Aufschlüsse über kulturelle Manifestationen von sogenannten illiteralen Gesellschaften geben kann. Schon die Erfindung der Photographie bereicherte die Dokumentation und Erforschung der sogenannten traditionellen Gesellschaften in hohem Ausmaß, mit all der implizierten Problematik (vgl. Wiener 1990), aber Film und Phonographie verändern die Felddokumentation und die damit verbundenen Perspektiven grundlegend. Bildet die Photographie einen Augenblick ab, fixieren Film und Phonograph – und das ist daran das revolutionär Neue – ein Zeitkontinuum.

“Das Festhalten des bis dahin Flüchtigen sowie dessen Reproduzierbarkeit war es auch”, schreibt der Leiter des Wiener Phonogrammarchivs Dietrich Schüller (1974: 33 f.), “was Wissenschaftler der anthropologischen Disziplinen schon bald nach der Erfindung des Phonographen durch Thomas A. Edison im Jahr 1877 an den Einsatz dieses Instruments für die Herstellung wissenschaftlicher Quellen denken ließ”. Die Metamorphose von nur in der Flüchtigkeit des Augenblicks sich entfaltenden und sogleich für immer entschwindenden klanglichen Ereignissen zu stationären, “fügbaren” Informationsgütern (“Quellen”), eröffnete, über die Schnittstelle Phonograph, die fundamental neue Möglichkeit, ab nun einen wissenschaftlichen Zugriff zu jenen vormals ungreifbaren, nicht-faßbaren akustischen Informationen zu gewinnen. Die in Form von Phonogrammen “gefrorene” Flüchtigkeit hatte auch die Installierung von Orten ihrer Bewahrung zur Folge. So war es der Wiener Erich Moritz von Hornbostel, ursprünglich Chemiker, der gemeinsam mit dem Psychologen Carl Stumpf das Berliner Phonogrammarchiv begründete. In Wien war es kurze Zeit vorher der Physiologe Sigmund Exner, der 1899 mit Unterstützung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften das erste wissenschaftliche Schallarchiv der Welt ins Leben rief.

Trotz der mittlerweile über 120jährigen Geschichte ist die Epoche der Tonaufnahme – in all ihren Seiteneffekten – für die Bedeutung der Ethnologie weder hinreichend erforscht noch gewürdigt worden. Viele vorhandene Studien zur Schallaufzeichnung beschäftigen sich größtenteils mit den Tonträgern als einem kommerziellen Massenprodukt, stellen also den zweifellos wichtigen Aspekt der unbegrenzten Vervielfältigung und Reproduzierbarkeit in den Mittelpunkt. Die Grammophon- und Schallplatte als Massenmedium werden zum gesellschaftlich entscheidenden Vermittler musikalischer Botschaften (Blaukopf 1977: 12). “Zur massenlosen und eben darum massenhaften Übertragung von Grammophonplatten” entsteht der zivile Rundfunk, 1921 in den USA, ein Jahr später in Großbritannien, 1923 im Deutschen Reich (Kittler 1986: 146 f.). “Es ist nicht ausgeschlossen”, schreibt Födermayr (1988: 328) – was man als Folge der massiven Verbreitung der sogenannten Lautsprecher-Musik lesen kann -, “daß in der modernen Industriegesellschaft dort, wo es zu einem Verlust traditioneller Musikformen gekommen ist oder die Esoterik bestimmter Musikarten keinen allgemeinen Zugang gestattet, für den Menschen wesentliche Funktionen der Musik durch Formen der Popularmusik übernommen werden”.

Das Eintreten der Schallaufzeichnung in die Geschichte kann man wie gesagt mit dem Einschnitt vergleichen, den Jahrhunderte zuvor der Buchdruck Gutenbergs um die Mitte des 15. Jahrhunderts für die Entwicklung der Gesellschaft und die Organisation des Wissens mit sich gebracht hat (Kittler 1985: 241f.; vgl. 1986: 37-173; Ong 1987; McLuhan 1995b). Wie die Bezeichnungen “Tonträger” oder “Tonschreiber” verraten – hier gemeint in alter Diktion, die sich auf die Zeit vor der Magnettonaufzeichnung bezieht -, konnten nun klangliche Informationen auf die Walze oder Platte aufgetragen oder, besser gesagt, dem Träger eingeschrieben, eingezeichnet werden. Sie werden dadurch zu Informationen, die man “lesen” bzw. hören kann. McLuhan (1995a: 418) drückte es 1964 so aus: Der Phonograph generierte eine “tönende Schrift” (griech. gramma: Schrift, Geschriebenes), bei dem die Nadel die Rolle der Feder [übernahm]”. Und schon 1930 schrieb der langjährige Leiter des Wiener Phonogrammarchivs, (von 1928 bis zu seiner erzwungenen Emigration im Jahr 1938), Leo Hajek (1930: 3): “Man kann die Platte ‘Abhören’, das ist das Gewöhnliche, man kann sie aber auch ‘ablesen’, bzw. ‘abschreiben’, um sie dann eben besser ‘ablesen zu können”. Was der Walze oder der Phonogrammplatte als Klang eingeschrieben wurde, kommt im reziproken Vorgang tönend zurück. Der als “aufnehmende Thätigkeit” des Phonographen bezeichnete Akt steht jenem der “reproducierenden Thätigkeit” gegenüber, wie der Jurist Friedrich Donle (1897: 11 f.) treffend formulierte, der damals als einer ersten untersuchte, wem die Schallschrift auf der Phonographenwalze eigentlich gehört.

Der Phonograph setzte einen Prozeß in Gang, in dessen Verlauf jahrhundertalte Musizierpraktiken und traditionelles Rezeptionsverhalten in der westlichen Hemisphäre rasch aufgelöst bzw. substantiell verändert werden. Aber nicht nur hier, denn “portable radios can penetrate even into the everyday life of nomads in the Middle East region and turn the broadcast schedule of radio stations into the regulator of their day-to-day time pattern” (Blaukopf 1992: 20). Das in unserem Jahrhundert entstehende Phänomen der Massenkommunikation bringt als neues Element den anonymen Konsumenten hervor, ein unsichtbares und zufälliges Publikum von ungeahnter Zusammensetzung und Zahl, welches die in alle Himmelsrichtungen ausgestrahlten Bilder sieht und die überall gegenwärtigen Klänge von Musik aller Räume und Zeiten hört (Gradenwitz 1974: 11; vgl. Eisenberg 1990), “das elektroakustische Aggregat hat sich zum Alleinherrscher entwickelt” (Winckel 1958: 53). Mit den technischen Fortschritten werden jetzt das Wort, das Bild und die Musik zu “wahrhaften Allgemeingütern” und führen zu völliger Neuorientierung; in den 50er Jahren haben Wissenschaft, Forschung, Schallplatte und Rundfunk “die zeitlich und räumlich fernsten Güter jedem nahegebracht”, womit ein neues Zeitalter in der Geschichte der Musik begann (Gradenwitz 1974: 81). Dieses von Gradenwitz konstatierte “neue Zeitalter” manifestierte sich mit dem Beginn des Magnettonaufzeichnungsverfahrens im besonderem Ausmaß nach dem Zweiten Weltkrieg.

In seltensten Fällen jedoch wird dem am Beginn der Tonaufzeichnung fraglos bedeutendsten Aspekt, nämlich der Tatsache, daß ab nun akustische Ereignisse real gespeichert werden konnten, genügend Raum eingeräumt. Mit dem Phonographen hatte die Wissenschaft erstmals einen Apparat zur Verfügung, der bis dato “unaufschreibbare Datenflüsse” (Kittler 1986: 26) fixieren konnte. Es eröffnet sich nunmehr ein theoretisch unendlicher Speicherraum für das Ohr, dessen Autonomie die traditionellen, die Geschichte konstituierenden Begriffe Zeit und Raum zu unterlaufen beginnt. “Vor dem Vorhang sind alle gleich”, schreibt Oswald Egger (1997: 32). Im Zuge der rasanten Entwicklung der Speicher- und Informationsmedien scheint uns der “Vorhang” des Cyberspace oder Internets alle “égal” zu machen (égal: dieses französische Wort umschreibt vielleicht am besten die herrschende mediale Konstellation der Informationsgesellschaft): Die simultane Verfügbarkeit über Zeit und Raum und die mit-suggerierte Auflösung der sozialen Hierarchien werden immer mehr die zentrale Form von Wirklichkeitserfassung. Vielleicht sind sogar die Lévi-Strauss’schen Gedanken zum Mythos und zur Geschichte im Kontext des aufkommenden Medienzeitalters zu sehen, das den Begriff und die Funktion von Musik entscheidend umformt und neu denken läßt.

Musik entfaltet sich in der Zeit und das macht ihr Wesen aus. Sie unterläuft die Gegenwart als jenen Punkt, der sich von der Vergangenheit in die Zukunft kontinuierlich verschiebt, indem sie – ähnlich wie in den Momenten des intensiven Liebeszaubers – das Zeitempfinden auflöst. Lévi-Strauss (1994: 31) schreibt von der Musik und dem Mythos, beide seien “Apparate zur Beseitigung der Zeit”. Im subjektiven Erleben kommt es zur Einheit, die Stillstand bedeutet, real findet eine Veränderung statt. Die Musik erzeugt in ihrer diachronischen Entfaltung eine “synchronische und in sich geschlossene Totalität”, die, wenn sie gehört wird, das eben Gehörte und das gerade Gehörte auf einen Punkt zusammenzieht, Erinnerung und Gegenwart fallen in eins. “So daß wir, wenn wir Musik hören und während wir sie hören, eine Art Unsterblichkeit erlangen” (ebd.). Diese Formulierung erinnert an eine von zehn Nutzanwendungen des Phonographen, die Edison bereits 1878 darlegte. Als ob er sich dem endgültigen Verlust der mythischen Ahnenwelt in der westlichen Welt entgegenstellen wollte, sprach Edison davon, “die letzten Worte von Sterbenden” aufnehmen zu wollen. Weder das emotional-synthetische noch das intellektuell-analytische Musikverständnis, um das alte oft strapazierte Gegensatzpaar zu verwenden, kann die ästhetische Wirkungsweise von Musik bis ins Detail begrifflich auflösen, ihr Geheimnis läßt sich nicht aufklären (Wimmer 1984: 131). Musik bleibt immer zugleich “verständlich und unübersetzbar” (Lévi-Srauss 1994: 34); sie ist eine “universale Sprache und doch kein Esperanto” (Adorno 1996: 186). Das ist der Grund für ihre durch nichts ersetzbare magische Kraft.

Pöch-, Boas- oder Hornbostel-Phonogramme heute gehört: Vermag man von der im Verhältnis zu heutigen Standards mangelhaften Tonqualität abstrahieren und sich durch das Rauschen der Phonogramme zu jener Musik und Sprache hindurchhören, so läßt sich feststellen, daß weniges schneller die musikalische Andersartigkeit ins Haus bringt und an unseren Wahrnehmungsmustern zerrt. Kaum etwas anderes versetzt uns präziser in eine andere Zeit, in einen anderen Raum, in eine andere Welt. Das Auratische des Originals in der Reproduktion einer gespeicherten Unmittelbarkeit, eine Konfrontation mit dem “Diversen”, das gleichermaßen entzücken und irritieren kann und – zugleich “verständlich und unübersetzbar” bleibt. Die Phonogramme vermitteln eine Nähe zu einer anderen geschichtlichen Zeit, die atmende Klarheit der Ferne. Wo früher der Akt der Inszenierung, Musik zu hören, gegeben war – sei es im Selber-Musizieren oder mittels Gang in den Konzertsaal oder mit vielmehr Aufwand dislokal mittels Reisen zu den Kulturen und Musiken der unbekannten Völker – genügt heute das Abspielen eines Tonträgers im Wohn- oder Studierzimmer, sich “zwischen den Zeiten” zu wähnen und in andere Räume zu begeben. Hier waltet eine magische Kraft, die – wie man auf beigelegten Musikbeispielen hören kann – auch mit dem technisch geschriebenen Klang wirksam und keineswegs von neuen technologisch-akustischen Vermittlungsystemen zum Verschwinden gebracht werden kann. Dennoch veränderten die neuen Aufschreibsysteme des 19. Jahrhunderts vieles. Sie repräsentieren den Beginn einer grundlegenden Um-Wälzung. Das, was mit dem Phonograph und Film seinen konkreten Anfang nahm, antizipierte eine Entwicklung, die im aktuellen Cyberspace ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Diese mediale Revolution von heute ist nichts anderes als die logische Konsequenz der Auftrennung von Sinnesdatenstömen durch Grammophon, Film, Typewriter, wie sie Kittler (1986) in seinem gleichnamigen Buch untersucht hat. Diese Ausdifferenzierung der Datenflüsse, die die elektrischen und elektronischen Medien wieder verschalten können – was aber dennoch nichts am Umstand dieser Auftrennung ändert (Kittler 1986: 27) – nahm ihren Anfang im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Wir befinden uns nach wie vor im Prozeß dieser sogenannten elekronischen oder digitalen Revolution , aber – und das scheint bemerkenswert – in einer Weise von Selbstverständlichkeit, die uns kaum an den traditionellen Begriff von Revolution als direkt und unmittelbar die Verhältnisse umstürzendes Ereignis denken läßt. Außerdem haftet diesem Prozeß an, daß er in einer Art von schleichender Einsickerung vonstatten geht. Er wird deshalb auch kaum als enigmatisches Ereignis wahrgenommen. “Das ‘Selbstverständliche’ ist immer verdächtig”, schreibt Hornbostel (1925: 290), “man sollte es anzweifeln. Wenigstens ein bißchen, probeweise; sich fagen: warum eigentlich?”. Trotz aller Umbrüche und Spannungen, die diese Entwicklung zur Informationsgesellschaft mit Hilfe der Elektronik mit sich bringt, wird er von der “Gesellschaft der Normalisierung” (Foucault 1978b: 94) als fixer Bestandteil der gesellschaftlich-dynamischen Progression – mit all den sich neu auftuenden subtilen Konstellationen der Macht (vgl. Foucault 1977: 113ff.) – ins Leben integriert. Ein vergleichbarer Vorgang läßt sich auch für das Auftauchen und Eindringen der neuen Medien des 19. Jahrhunderts und damit des Phonographen in die gesellschaftliche und wissenschaftliche Praxis konstatieren. Denn der Phonograph ist als Initialphänomen zu betrachten, welches das gesellschaftliche und private Leben unseres Jahrhunderts entscheidend prägt. Die Wirkung seiner Existenz im historischen Entstehungskontext zu beleuchten, führt zu dem Versuch, wie Adorno in einem Brief an Benjamin schreibt, einen “Zugang zur Urgeschichte des 19. Jahrhunderts zu gewinnen” (Benjamin 1991c: 1108). Darüber hinaus führt dieser Versuch wahrscheinlich auch ansatzweise dazu, was der Avantgardefilmer Ken Jacobs bezüglich seiner filmischen Arbeit gesagt hat, nämlich eine “Archäologie der Gegenwart” zu betreiben, oder, wie es Foucault (1976: 43) auf sein philosophisches Denken hinweisend formuliert hat, nämlich die “Geschichte der Gegenwart zu schreiben”.

Das durch die Massenmedien wie Grammophon-, Schallplatte, Radio, Fernsehen etc. gebildete Informationsmeer und der “Schutt” des Kommerzes tragen im allgemeinen dazu bei, den Blick auf die Frühgeschichte der Schallaufzeichnung eher zu verwischen als darauf zu lenken. Diese Arbeit versteht sich als Versuch, die “enorme Aussagevervielfältigung” (Hausschild 1993: 324) oder den unaufhörlich anwachsenden “Trümmerhaufen”, der sich vor dem Benjaminschen Engel auftürmt, mit einem “Tigersprung ins Vergangene” (Benjamin 1991b: 701) zu überbrücken und die bedeutsamsten “Mineralien” der frühen Schallaufzeichnung und im speziellen der frühen ethnographischen Tonaufzeichnung zu exzerpieren. Diese werden im Kontext der Wiener ethnologischen und ethnomusikologischen Forschung sowie anhand der Geschichte des Wiener Phonogrammarchivs dargestellt. Dabei werden technologische Aspekte, die für einen begrenzten geschichtlichen Zeitabschnitt entscheidend wirksam wurden, anhand archivarischer Quellen mit dem “Makrobereich” – im Sinne von Wernhart/Zips (1998: 23 f.), also mit der “Struktur sowie kultureller und historischer Praxis” – verbunden. Medientheoretische Überlegungen sowie prinzipielle Fragen zur Entstehung und Folgen der Schriftkultur (vgl. Goody 1997), die mit der “Schallschrift” des Phonographen eine grundsätzliche Wendung erfahren, bilden den unsere Untersuchung durchgehend begleitenden theoretischen Bezugsrahmen. Besondere Bedeutung kommt der Position des österreichischen Medienpioniers Rudolf Pöch zu, der als einer der ersten die ethnographische Tondokumentation auf Forschungsreisen eingesetzt und damit zu einer Ausweitung der ethnologischen Datenerhebung fundamental beigetragen hat. Seine diesbezüglichen Arbeiten werden mit einem zweiten Pionier auf diesem Gebiet, mit dem in Berlin wirkenden Wiener Erich Moritz von Hornbostel in Beziehung gesetzt. Obwohl in ihrer Näherung an ethnographische, ethnologische und musikwissenschaftliche Fragestellungen grundverschieden, lassen sich anhand dieser beiden Forscherpersönlichkeiten, deren Schriften sich wie ein roter Faden durch die vorliegende Studie ziehen, die enge Zusammenarbeit des Wiener Phonogrammarchivs mit dem Berliner Archiv aufzeigen und, darüber hinaus, allgemeine Aussagen über die Bedeutung und Wirkung des Phonographen für die Ethnologie bzw. Ethnomusikologie treffen. Unsere Untersuchung, die notwendigerweise fragmentarisch bleiben muß, riskiert, “ungedeckte Gedanken zu denken” (Adorno 1977: 135) und versteht sich als Vorschlag einer Sichtweise, die weniger eine runde, ausgewogen-beruhigende Theorie, sondern vielmehr die Erschließung und Öffnung von Problemräumen zum Ziel hat (vgl. Kaden 1984: 77). Denn wie wir seit Bernard Bolzano wissen, ist Wissenschaft als Summe der ermittelten wahren Sätze nur ein kleiner Ausschnitt aus dem gesamten Gebiet der Wahrheiten (vgl. Blaukopf 1995: 32). Diese Sichtweise ermöglicht es, daß, auch wenn in der Bewertung des Beschriebenen gravierende Unterschiede zu konstatieren sind, es in den Diagnosen vielfach Überschneidungen und Ergänzungen gibt und damit sogar gänzlich verschiedene Überzeugungen in Zusammenklang zu bringen sind (vgl. Schläbitz 1997: 12). Oder um die Intention, die dieser Arbeit zugrunde liegt, mit den Worten von Lévi-Strauss (1981: 59) darzulegen: “Das grelle Licht ist der Feind der Perspektive”.

Obwohl die Ethnologie als selbständige Wissenschaftsdiziplin im Zusammenhang mit dem Kolonialismus und Imperialismus entstanden ist und sich seit ihrer Genese kaum von diesem Impetus lösen hat können (vgl. Leclerc 1976; vgl. Leiris 1979: 53-71), hat sie, was eine grundlegende Rechtfertigung dieser Wissenschaft ausmacht, gleichzeitig auch zu einem differenzierteren Bild des Menschen beigetragen. Die Ethnologie hat wahrscheinlich gerade deswegen außerhalb ihrer unmittelbaren Sphäre spürbare Wirkung gezeitigt. Sie zählt wahrscheinlich mit zu den einflußreichsten Geisteswissenschaften vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Abgesehen vom Strukturalismus Lévi-Strauss’scher Prägung, der zumindest eine Dekade der Philosophen-Diskussion grundlegend mitbestimmte, sind die Arbeiten von Foucault oder Bourdieu ohne die Ethnologie kaum vorstellbar. Vielleicht wirken in Foucault (z.B. 1978a: 444ff.) die ethnologischen Studien über die “egalitären Gemeinschaften”, in der es Freiheit im Sinne des neuzeitlichen Subjektivismus nicht gab, und die Gedanken an deren womögliche Existenz in seinen Arbeiten in höheren Ausmaße nach, als man bisher vermeinte. Dies würde es ihm ermöglicht haben, Vermassung und freies, d.h. freigesetztes Individuum bloß als zwei Seiten einer Medaille zu begreifen. Kamper (1985: 27) bemerkt dazu, daß Foucault die Situation des eigenen Zivilisationsprozesses mit ethnologischem Blick wahrnahm. Es ist anzunehmen, daß das Wechselspiel zwischen Philosophie und Ethnologie in hohem Maße die Postmoderne prägte und prägt.

Die Ethnologie beeinflußte darüber hinaus Fragen der Wahrnehmung und deren Dispositionen. Ein Gutteil der Literatur unseres Jahrhunderts, z.B. Bereiche innerhalb der lateinamerikanischen – Carpentier, Galleano, D. Ribeiro, Loyola Brandão u.a. – und der französischen Literaturproduktion, sicherlich aber Hubert Fichtes Werk, ist vermutlich ohne sie nicht denkbar. Diese Zusammenhänge versucht die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Exotismus als mögliche oder unmögliche Annäherung an das/die Fremde aufzuzeigen. Eine Annäherung, der im speziellen um die Jahrhundertwende in der Sphäre der Musik, Literatur und bildender Kunst eine besondere Stellung zukommt. Sie bilden die Folie, auf der sich die Entfaltung der für die Ethnologie und Musikwissenschaft bedeutsamen ethnographischen Tondokumentation abspielt. Dabei wird den Ausführungen zur Exotismus-Konzeption von Viktor Segalen (1994), einem Zeitgenossen Rudolf Pöchs, spezielles Augenmerk geschenkt. Segalen machte mit seiner radikalen Position zum Exotismus-Begriff schon darauf aufmerksam, was Koepping mit Susan Sontag in der Kritik an allen interpretativen und hermeneutischen Ansätzen äußert, nämlich, “daß Interpretation immer bedeuten muß, daß das Original entweder nicht verständlich ist oder daß es etwas zu wünschen übrig läßt” (Koepping 1987: 21). Wobei letzteres, aber ohne auf eine etwaige Erfüllung des Wunsches zu zielen, sicherlich im Sinne Segalens gewesen wäre.

Die bedeutsame Rolle der Ethnologie – und hier zeichnet sie sich wahrhaftig als anthropologische Disziplin aus – bestand und besteht darin, die Vielfältigkeit und Diversifizität der Kulturen der Menschheit oder die Synchronizität von Differenzen aufgezeigt und in den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs hineingetragen zu haben. Als einfach-schlagendes Beispiel dafür läßt sich das Verwandtschaftssystem der australischen Aboriginies anführen. Es zeigt, daß das “kulturelle Niveau” eines Volkes keineswegs ausschließlich an den materiellen und ökonomischen Verhältnissen gemessen werden kann, wie “es der selber gar zu sehr nach dieser Richtung orientierte Abendländer des ‘Industriezeitalters’ in der Frühperiode der völkerkundlichen Forschung tat” (Laade 1975: 14). “Die Paradoxie so einseitiger Beurteilung”, so Laade weiter, “machen die australischen Ureinwohner musterhaft deutlich: ein Volk ‘steinzeitlicher’ materieller Kultur mit einer hoch entwickelten Mythologie (mit vielen historischen Komponenten), einem höchst differenzierenden Zeremonialleben und dem kompliziertesten Verwandtschaftssystem der Welt, dem gegenüber das unsere primitiv ist. Bezeichnend, daß die Verblüffung, die das beim Abendländer auslöste, gar zu einer Sonderrichtung der Ethnologie führte: zur Entwicklung der ‘Social Anthropology'” (ebd., Anm. 7). Es lassen sich – und das mag den vorhergehenden Side-Step zu Laades zitierten Ausführungen erklären – Parallelen im Bereich der Musik feststellen, denn Fragen nach dem “kulturellen Niveau” eines Volkes und “Paradoxien einseitiger Beurteilung” finden sich auch im Bereich der ethnographischen Tondokumentation.

Im Zuge der ersten Versuche bei der “exacten” Analyse von außereuropäischer Musik – die wesentlich mit dem Phonographen einsetzt (vgl. Hornbostel 1986: 42) – treten deren bislang oft unterschlagene Komplexität und Reichhaltigkeit zutage. Die westliche Wahrnehmungsdisposition gegenüber den “archaischen” Musikformen gerät durch das Vorhandensein “real existierender” klanglicher Manifestationen von “primitiven” Völkern in Form der auf den Phonographenwalzen gespeicherten Musik gehörig ins Wanken. In ein Wanken allerdings, das zwischen distanzierter Bewunderung (Hornbostel), neutraler Betrachtungsweise (Pöch) und Ablehnung (Lach, Riemann) hin und her pendelt. Stereotype Wahrnehmungsmuster von “nichtabendländischer Musik” (Födermayr 1988: 328) wurden mit den Ethnophonica noch lange nicht ausgeräumt und zeigen ihre Wirkung bis heute. “Noch bis ins 20. Jahrhundert war alles”, schreibt Max Peter Baumann (1994b: 438), “was sich kognitiv nicht ins eigene System der ‘hohen Kunst’ einordnen ließ, einfach ‘Naturvolk-kultur’, im schlimmeren Fall war es roher ‘Primitivismus’ oder gar eine ‘rassische Entartung’. Die kognitive Engstirnigkeit gegenüber dem ‘Fremden’, dem ‘Ausländer’, gegenüber dem ‘Muselmann’, gegenüber dem ‘Juden in der Musik’, gegenüber dem Ungewohnten ist schließlich als erkenntnistheoretisches wie auch lebenspraktisches Versagen in die unrühmliche Geschichte der ‘entarteten’ Kunst und in die ‘Arisierung der eigenen Gefühle’ eingegangen”. Denn wie Hornbostel schon 1905 differenzierend schrieb, gehe es nicht an, “die Erlebnisse innerhalb unserer simultanharmonischen Musik als letzte psychische Tatsachen anzusprechen und ohne weiteres auf die ganze Menschheit zu verallgemeinern” (Hornbostel 1986: 48f.).

Die Suche nach den Ursprüngen der menschlichen Kultur und somit auch der Musik erscheint von jeher als Triebfeder der komparatistischen Kulturwissenschaften. Mit dem Phonograph war endlich ein geeigneter Apparat gefunden, die bislang fernen flüchtigen Klänge der Völker “dingfest” machen zu können. Das, was war und ist, wird hörbar. Vergangenes (Flüchtiges) ist schriftlos da, akustisch präsent, ohne den visuellen Schrift- und Lesefilter des Schreibkundigen. Die Erforschung der “exotischen” Musik “wird […] nicht nur der Musikwissenschaft, sondern auch anderen Disziplinen, vornehmlich der Kulturgeschichte und Ethnologie zugute kommen” (Lachmann 1930: 13). Ethnographische Phonogramme ließen ein gänzlich neues Dechiffrierungsverfahren von schriftlosen Sprachen und schriftloser Musik entstehen, deren Auswertung kulturtheoretische, -vergleichende und -historische Konzeptionen und Methoden bestätigen konnten oder entwickeln ließen (vgl. Schneider 1976). “Recording and Playback”: Das Abhören der Phonogramme als “listening into the distant past of humankind through Edison phonograph horns” (Christensen 1991: 201).

Die “primitiven” oder “traditionalen” Gesellschaften, die eine vielfältige materielle und geistige Kultur hervorgebracht haben, sind als letzte Repräsentanten der “magischen Kulturen” (Marker 1984: 23) in ihrer “ursprünglichen” Form im Sog der imperialistischen Hegemoniebestrebungen des Westens vom Verschwinden bedroht, wenngleich sich “die Unzerstörbarkeit des Anderen” (Baudrillard) oder “schöpferischer Synkretismus” der Kulturen (Clifford) allenthalben zeigen. Die die Tendenz zur musikalischen Monokultur begleitende “ethnische Reminiszenz” und das “massenhaft-musikalische Recycling” der attraktiven “traditionellen” Musik müssen jedoch einer kritischen Betrachtung unterzogen werden (vgl. Baumann 1994a: 45f.).

Die Rettung und Dokumentation der Kulturen zählen zum Hauptmotiv der meisten ethnologischen und ethnomusikologischen Aktivitäten. Mit der Erfindung des Phonographen ist nun der Wissenschaft ein “unschätzbares Hilfsmittel” geboten, “um die musikalischen Äußerungen aller Völker der Erde in unanfechtbar exakter Weise zu fixieren” (Hornbostel 1986: 42). Das führt, um es in den Worten des langjährigen Leiters des Wiener Phonogrammarchivs Walter Graf (1965: 85) zu sagen, zur Forderung, “die Feldforschung möglichst zu intensivieren, solange der geübte Forscher noch altes Kulturgut der Vergessenheit entreißen kann”. Diesbezüglich schreibt auch die amerikanische Ethnomusikologin Helen Myers (1992: 5), auf die Frühzeit der ethnographischen Tondokumentation bezugnehmend: “Fearful that native cultures were vanishing, American scholars used the phonograph to preserve Indian music”. Was Pöch bezugnehmend auf seine kinematographischen Aufnahmen bemerkte, galt sicher auch für seine Auffassung zur Phonographie. Denn “sie halten überhaupt Lebensäußerungen einer Kultur fest, die vor der vordringenden europäischen Zivilisation rasch verschwunden sein wird” (Pöch 1907: 805). Nicht zuletzt deshalb setzte sich Hornbostel für die umfassende Tondokumentation “fremden Singens und Sagens” und deren wissenschaftliche Archivierung ein. Mit den zahlreichen ethnographischen Phonogrammen aus aller Welt findet der andere, exotische, fremde Klang eine seltsam anmutende Heimstätte in den Archiven der großen Zivilisationsmetropolen.

Literatur

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“Im Lichte all dessen betrachtet, was unternommen wurde, um das Andere auszulöschen, zeichnet sich klar und deutlich die Unzerstörbarkeit des Anderen ab und damit die unzerstörbare Fatalität der Alterität” (Baudrillard 1991: 77).

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In dem von Gabriele Johanna Eder (1995) herausgegebenen Buch, Alexius Meinong und Guido Adler. Eine Freundschaft in Briefen findet sich ein bemerkenswerter Brief. Das neue Medium “Schreibmaschine” veranlaßte Guido Adler in einem Brief vom 6. August 1883 an den Philosophen Alexius Meinong, der eben gerade eine aus Amerika importierte Remington erstanden und damit Adler geschrieben hatte, zu folgender Äußerung: “Daß Sie für die Unsterblichkeit arbeiten, ist mir nicht neu, daß sie aber Ihren intimen Enuntiationen einen auch der äußeren Form nach solemnen Charakter verleihen, indem Sie denselben nicht nur druckreif, sondern auch gedruckt in die Welt schicken, hat mich überrascht. Ein Privatbrief verliert an Intimität, wenn die starren toten Lettern nicht einmal mit dem wohlbekannten, anmutenden, belebenden Hauche des freien Schriftzuges versehen sind” (zit. n. Eder 1995: 70).

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Klischee bezeichnet eigentlich den Druckstock oder die Druckplatte für den Hochdruck, auch Ätzung. Er hat auch die Bedeutung von Abdruck, genaues Abbild. Freud (1982: 159) bespielsweise verwendete ihn in folgendem Zusammenhang: “Machen wir uns klar, daß jeder Mensch durch das Zusammenwirken von mitgebrachter Anlage und von Einwirkungen auf ihn während seiner Kinderjahre eine bestimmer Eigenart erworben hat […]. Das ergibt sozusagen ein Klischee (oder auch mehrere), welches im Laufe des Lebens regelmäßig wiederholt, neu abgedruckt wird”.

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Goody schreibt, daß, wenn er den Begriff “traditional” verwendete, sich bewußt wäre, wie unbefriedigend dieser Terminus sei, hätte aber “keine bessere Alternative gefunden. Das Adjektiv soll nicht mehr als ein Indikator einer allgemeinen Richtung sein” (1997: 59, Anm. 15). Auch die Begriffe “Tradition”, “traditionell” haben in diesemZusammenhang keineswegs statische Implikationen im Sinne von striktem Bewahren, sondern berücksichtigen den dynamischen Aspekt, nämlich daß literalisierte wie präliterale Gesellschaften nie vollkommen “harmonisch” oder “organisch” aufgefaßt werden können.

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Mit den hochkomplexen Kompositionsverfahren innerhalb der neuen Musik, die sich allzu oft den stupiden Vorwurf der Emotionslosigkeit gefallen lassen mußte, verschwindet keineswegs die magische Komponente. Der große Komponist, Theoretiker und Analytiker Helmut Lachenmann (Jahrgang 1935), der als “beispielhaftes Beispiel” (Luigi Nono) auf bestechende Art und Weise die Integration des radikal Geräuschhaften in seine Kompositionen vollzog – fast hundert Jahre nachdem der Phonograph die Geräusche zu speichern im Stande war -, verwendet immer wieder das Attribut “magisch”, um den letzten unerklärbaren Rest musikalischer Wirkungsweise “begrifflich” fassen zu können. Auf die Frage, was schöne Musik für ihn sei, antwortet er: “Ich weigere mich, den Begriff ‘Schönheit’ zu definieren. Man darf ihn nicht verdinglichen. Schönheit in der Kunst hat gewiß etwas mit Magie zu tun. Durch kreative Vernunft beherrschte Magie: Das ist Kunst. In den meisten anderen – historisch oder geographisch von uns entfernten – Kulturen begegnen wir der Magie als ungebrochen wirkende Kraft” (Lachenmann 1996: 353).

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Leroi-Gourhan schreibt im Abschnitt „Die primitive Gruppe“ zur Verwendung des Begriffs u.a. folgendes: “Der Ausdruck primitiv bezeichnet hier den techno-ökonomischen Zustand der ersten menschlichen Gruppen, d.h. die Ausbeutung der wilden natürlichen Umwelt […]. Die Ethnologen haben diesem Ausdruck, dem die sozialen, religiösen oder ästhetischen Tatsachen widersprechen und der von daher eine pejorative Färbung angenommen hat, beharrlich widersprochen, gleichwohl haben sie ihn nicht aufgegeben, weil sie keinen anderen Ausdruck fanden, mit dem sich die schriftlosen und abseits der ‘Hochkulturen’ stehenden Völker in ähnlich globaler Weise kennzeichnen ließen” (1995: 192, Anm. 11).

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